1890
Olga Desmond wird als Olga Antonie Sellin am 2. November 1890 in Allenstein, Ostpreußen (heute Olsztyn/Polen) als eines der 14 Kinder von Hulda Sellin, geb. Schumacher und Otto Sellin geboren. Der Vater arbeitet als Buchbinder/Buchdrucker, die Mutter führt den Haushalt. Die Verhältnisse der Familie gelten als bescheiden.
Um 1900
Die Familie Sellin zieht nach Berlin und wird in der Alten Jakobstraße 48a in Kreuzberg ansässig; hier führen Otto Sellin und sein Sohn Bruno eine Klischee- und Druckanstalt.
1892
Die Amerikanerin Loie Fuller (1862-1928) tritt erstmals in Europa, im Wintergarten in Berlin, auf. Den großen Erfolg ihrer neuartigen Tanzkreationen, besonders des Serpentinentanzes, erlebt sie anschließend in Paris.
1898
Die australische Tänzerin Saharet (1879-1942) tritt in Berlin auf und im Herbst ist auch die französische Variéte-Tänzerin Cléo de Mérode (1875-1966) im Wintergarten zu sehen.
1902/1903
finden Auftritte der amerikanischen Tänzerin Isadora Duncan (1877-1927) - barfuss und im griechischen Chiton - in Berlin, München, Leipzig statt
1903
Karl Vanselow gibt die erste Nummer der Zeitschrift "Die Schönheit" heraus und beginnt in Werder bei Berlin mit der Gestaltung eines Gartens, dem "Garten der Schönheit", wo Akt-Aufnahmen entstehen, die in der Zeitschrift veröffentlicht werden.
1906
Olga Sellin nimmt Schauspielunterricht an der Marie-Seebach-Schule des Königlichen Schauspielhauses in Berlin. Um die Eltern zu entlasten, steht sie Künstlern Modell, unter anderem Lovis Corinth. Adolf Salge, der Manager der Varieté-Artisten The Seldoms entdeckt Olga Sellin. Sie tritt in der Gruppe u.a. als Venus auf und nennt sich nun Olga Seldom. Der Fotograf Julius Staudt hat eine Serie des "Lebenden Marmor", nachgestellte Skulpturen, fotografiert, die auch als Postkarten vertrieben wurden.
Ein Engagement führt The Seldoms nach London, wo sie acht Monate lang (10.12.1906-27.08.1907) täglich unter großem Beifall als Attraktion in Frank Glenisters London Pavilion auftreten.
1907
The Seldoms trennen sich nach ihrer Rückkehr aus England in Berlin. Olga Sellin nimmt den Künstlernamen Olga Desmond an und tritt nun mit Adolf Salge als Duo auf.
1908
Am 4. Januar tanzt Cléo de Mérode ihre lyrischen Pantomimen in Berlin für die kaiserliche Familie.
Olga Desmond führt Karl Vanselow ihre Tanzkunst vor, der sie als Manager der Vereinigung für ideale Kultur – Die Schönheit und der Schönheit-Abende, die "der Darstellung und Verherrlichung des menschlichen Körpers und seiner Schönheit gewidmet" sind und als Herausgeber von lebensreformerischen Publikationen wie Die Schönheit oder Geschlecht und Gesellschaft engagiert und mit ihr auch auf Tournee geht.
Am 6. April 1908 tanzt Olga Desmond im Anschluss an den "Lebenden Marmor" mit Adolf Salge erstmals eigene Tanzkreationen zu Musik von Chopin und Gounod.
Zum 3. Schönheit-Abend im Mozartsaal am Nollendorfplatz am 19. Mai führt Olga Desmond in geschlossener Gesellschaft den Schwertertanz - nackt - vor.
In Russland erfolgt nach dem ersten Auftritt des Gastspiels am 27. Juni in St. Petersburg das Auftrittsverbot. Die Gastspielreise der Schönheit-Abende geht weiter nach München, Frankfurt am Main, Dresden, Leipzig und Breslau. In Köln, Düsseldorf und Hannover werden die Vorführungen verboten. Der Tanzkritiker Fritz Böhme beschreibt die Darbietungen als getanzte "neue Weltanschauung". Selbst die New York Times berichtet euphorisch über die Desmond.
1909
Sent M'Ahesa, die sich an ägyptischer Malerei und Reliefs orientierte, debütiert in München mit Tanzschöpfungen und speziell abgestimmten Kostümen.
Vom 6. bis 31. Januar wird Olga Desmond für ihr erstes Berliner Wintergarten-Engagement verpflichtet. Sie löst Otto Reutter ab und erhält eine Spitzen-Gage von 6000 Mark. Die Presse in New York, London, Paris verschafft Olga Desmond auch international Berühmtheit.
Der Interpellation des Zentrumsabgeordneten Hermann Roeren folgend, debattiert das Preußische Abgeordnetenhaus am 13. Januar über den Skandal der Nackttänze Olga Desmonds. Die Polizeibehörde verbietet weitere Nackt-Auftritte und Desmond wird gezwungen, von nun an in Gaze und Schleier gehüllt, aufzutreten, den so genannten Nacktkostümen.
Der Hoffotograf Otto Skowraneck fotografiert Olga Desmonds Tänze im Atelier, darunter auch den Schwertertanz, der in einer Mappe von der Neuen Photographischen Gesellschaft, Berlin, verlegt wird.
Gastspielreisen führen Olga Desmond nach Paris und Wien. In Berlin gibt sie nun auch Tanzunterricht. Der Komponist und Musikpädagoge Emile Jaques-Dalcroze und der Bühnenbildner und Theatertheoretiker Adolphe Appia planen mit Olga Desmond und Isadora Duncan die Produktion des antiken Stückes Prometheus von Aeschylus aufzuführen; das Projekt wird nicht realisiert.
1910
Olga Desmond wird erneut für den Wintergarten engagiert. Sie erhält jetzt eine Gage von 15.000 Mark. Im September stellt sie eine eigene Kosmetikserie vor, die sie selbst bewirbt: Desmond-Schönheitscreme, -Busencreme, -Sommersprossencreme, -Seife und dazu den Desmond-Massageapparat.
1911/1912
Olga Desmond zieht sich von der Bühne zurück und begibt sich zusammen mit dem Rittergutsbesitzer von Gross auf dessen Sitz bei Budapest in Ungarn.
Bereits im November 1912 nimmt sie, nach der Trennung, wieder Engagements in Deutschland an, darunter im Victoriasaal des großen Berliner Residenzvarietés und im Wintergarten von Berlin.
1914
Vom 9. bis 25. Mai tritt Olga Desmond auf der ersten Fachausstellung für das Varieté-, Theater-, Zirkus- und Cabaretwesen auf. Hier begegnet sie ihrem späteren Ehemann Georg Piek, dem Inhaber einer Berliner Textil-Manufaktur.
Infolge der Kriegserklärung des Deutschen Reichs an Russland und Frankreich zieht sich Olga Desmond einige Zeit von der Bühne zurück, nicht zuletzt weil das Varieté als unzeitgemäß und unpatriotisch abgelehnt wird.
1915
Olga Desmond erschließt sich ein neues Metier: sie produziert zwei Stummfilme und übernimmt die Hauptrolle in Nocturno oder der Traum einer Frühlingsnacht und Seifenblasen. Puppenspielers Lene (Regisseur: Heinrich Bolten-Baeckers, Librettist vieler Operetten des Berliner Komponisten Paul Lincke). Zudem nimmt die Künstlerin ihre Tanzvorstellungen wieder auf, z.B. im Herbst im National-Royal-Orpheum in Budapest.
1916
Neben dem Stummfilm Lisa, die Zigarettenmacherin produziert sie den Film Marjas Sonntagsgewand, in dem sie die Hauptrolle spielt. Im März wird sie als Tänzerin von Otto Reutter, Direktor und Pächter des Palast-Theaters am Zoo engagiert. Olga Desmond tanzt auch an der Front und für wohltätige Zwecke, z.B. für die Freiwillige Sanitätskolonne des Roten Kreuzes.
1917
Hertha Feist kommt auf Vermittlung des Tanztheoretikers Fritz Böhme als Schülerin zu Olga Desmond. Im Film Die Grille spielt Olga Desmond die Hauptrolle. Hinter der Kamera steht Albert Schattmann, der an den Olympia-Filmen Leni Riefenstahls mitarbeiten wird. Ein Gastspiel führt die Tänzerin nach Polen.
1918
Olga Desmond spielt für die Harmonie-Film GmbH Berlin die Senta in Der fliegende Holländer (Kamera: Guido Seeber). Sie wird durch die Rheinische Lichtbild Aktiengesellschaft/ Bioscop Konzerns Cöln engagiert, um die erkrankte Maria Orska zu ersetzen. Die Bioscop kündigt achtzehn Tanzfilme mit ihr an, von denen An der schönen blauen Donau und Zigeunerweisen nachweislich gedreht wurden. Im Film Leben um Leben spielt Olga Desmond an der Seite Guido Schützendorfs die weibliche Hauptrolle. Für die Oliver-Film GmbH Berlin tritt sie in Die Frau des Staatsanwalts und für die BB-Film-Fabrikation Bolten-Baeckers in Die Verräterin und Die Geschichte der Maria Petöfi auf.
1919
Die Edda Lindborg-Film Berlin engagiert Olga Desmond für eine Rolle in Göttin, Dirne und Weib. Im Der Mut zur Sünde spielt sie an der Seite Hans Albers’ und vollführt laut Presse den ersten „offiziellen“ Nackttanz im Stummfilm. Ihre Filmkarriere endet abrupt, vermutlich wegen der Reorganisation der Deutschen Bioscop.
Olga Desmond gibt die Publikation Rhythmographik – Tanznotenschrift als Grundlage zum Selbststudium des Tanzes heraus (Mitarbeit Fritz Böhme). Sie führt einen Lehrbetrieb am Kurfürstendamm 70, genannt: Hochschule für rhythmische Art. Hertha Feist wechselt zu dem Tanzreformer Rudolf von Laban nach Dresden.
1920
Anfang der 1920er Jahre heiratet Olga Desmond den Unternehmer Georg Piek, der das Geschäft für Bühnenausstattung Deutsche Batiks Unter den Linden 56 und die Textil-Manufaktur George Piek G.m.b.H. in der Alten Jacobstraße 37 führt.
The Secrets of Beauty, ihr englischsprachiger Ratgeber zur gesunden Lebensweise, erscheint im Londoner Verlag Athletic Publications LTD. – Link House.
Sie wirbt auf einer Reklamemarke und in Magazinen für den "Autogymnast" des Berliner Orthopäden und Sanitätsrats Dr. Georg Müller.
1923
Olga Desmond gibt ihr erstes Gastspiel beim Circus Busch.
Am 5. Dezember reisen die Eheleute Piek von Cherbourg in der Normandie auf dem Luxusliner Majestic nach New York, wo Olga Desmond aufgetreten sein soll.
1926-1927
Das Unternehmen Piek gerät in zunehmende wirtschaftliche Schwierigkeiten, muss die Geschäftsstelle Unter den Linden schließen, zieht in die Schöneberger Hohenstaufenstraße, danach in die Dorotheenstraße. Die Desmond zieht sich zwischenzeitlich von der Bühne zurück.
1928
Olga Desmond wird noch einmal für ein Gastspiel beim Circus Busch engagiert. Direktorin Paula Busch verpflichtet die Tänzerin für das Manegestück Weißes Gold. Auftritte führen die Desmond nach Hamburg in den Dammtor-Palast, nach Leipzig, Wien und in die Freie Stadt Danzig.
1929
Olga Desmond tritt in Halle/Saale auf. Privat verkehren die Pieks mit dem Romanschriftsteller Artur Landsberger und Paul Stegemann, dem Verleger von Erich Maria Remarque, Kurt Schwitters und George Grosz. Sie geben die Wohnung am Kurfürstendamm 70 auf. Olga Desmond tanzt im Berliner Vergnügungspalast Casanova.
1930
Paula Busch stellt Olga Desmond kurzzeitig als Ballettmeisterin im Circus Busch ein.
1931
Olga Desmond plant ein Tierballett nach dem Werk Chanteclerc des französischen Theaterschriftstellers Edmond Rostand, es wird nicht realisiert.
1933
Am 30. Januar Machtübergabe an die Nationalsozialisten; am 1. April setzt der massive Boykott gegen jüdische Geschäfte ein, so auch gegen das Unternehmen der Eheleute Piek, Georg Piek war jüdischer Abstammung.
1935
Die Nürnberger Gesetze sprechen den Juden alle bürgerlichen Rechte ab. Olga Desmond führt das Bühnenausstattungsgeschäft ihres Mannes weiter; Georg Pieks Versuch, sich das Leben zu nehmen scheitert.
1937
Olga Desmond versucht, sich das Leben zu nehmen.
1939-1958
Georg Piek arbeitet bis 1939 in Paris, wird 1942 in das KZ Belsen verbracht; er flieht und kommt 1944 in das Zuchthaus Coswig; es gelingt ihm 1945, nach Frankfurt am Main zu fliehen; die Ehe existiert nur noch auf dem Papier. Piek wandert 1952 in die USA aus, kehrt zurück und stirbt in einem Altersheim in Köppern/Taunus 1958.
1945-1963
Olga Desmond arbeitet nach dem Krieg in Berlin als Putzfrau, verkauft Fotos, Postkarten, Erinnerungsstücke. Sie wohnt in der Anklamer Straße 7 im Ostteil der Stadt.
1964
Olga Desmond stirbt am 2. August 1964 völlig vergessen in Berlin. Sie wird auf dem I. St. Elisabeth-Friedhof, in der Ackerstraße 37, beigesetzt.
2009
DAS VERBORGENE MUSEUM präsentiert die erste Ausstellung über die Tänzerin.
Es erscheint die erste Biographie über Olga Desmond von Jörn E. Runge.
ERÖFFNUNG
25. März 2009 | 19 Uhr
BEGRÜSSUNG
Elisabeth Moortgat
Das Verborgene Museum
Einführung
Jörn E. Runge
Autor der Biografie und Kurator
LAUFZEIT
26. März 2009 - 29. Mai 2009
STANDORT > ADRESSE
Der Verein DAS VERBORGENE MUSEUM | Dokumentation der Kunst von Frauen eV
hat seine Tätigkeit seit dem 1. Januar 2022 eingestellt.
mehr erfahren Sie hier:
AKTUELLE Rufnummer
+49 (0) 30 861 34 64
MAIL>ADRESSE
berlin@dasverborgenemuseum.de
Bildzitate | Ausstellung Olga Desmond | 26. März 2009 – 29. Mai 2009
Flyer zur Ausstellung
Publikation zur Ausstellung
Zur Ausstellung erscheint eine Monografie von Jörn E. Runge: Olga Desmond - Preußens nackte Venus, 180 S., ca.70 Abb.,
Steffen Verlag, Friedland 2009, 19,95 €
AUDIO
Deutsche Welle – Kultur, 2. April 2009, 10.50 Uhr
Olga Desmond, Preußens Nackte Venus
Beitrag von Sigrid Hoff