18. March 2010 - 27. June 2010

TATJANA BARBAKOFF

Luftbilder aus Händeweiß und Blutrot, Traumgrün und Vogelblau

Tatjana Barbakoff gehört mit ihren eigenständigen, mimisch-parodistischen Kostümtänzen zu den innovativen Tänzerinnen der 1920er Jahre. »Schon in frühester Jugend ... erlernte ich die Technik des modernen Ballett- und Fußspitzentanzes. Erst als ich dies konnte, versuchte ich, meine eigenen Wege zu gehen … Nie habe ich wirklich echte, asiatische, chinesische Tänze gesehen«, schreibt sie 1929 über sich selbst. In exotischen Kostüm-Kreationen mit Bewegungen, wie wir sie aus der phantastischen Fabelwelt kennen, entführte sie ihr Publikum in die bizarre Welt der Phantasie.  

Tsipora Edelberg wurde 1899 im lettischen Hasenpoth geboren, das damals noch zum russischen Zarenreich gehörte. Sie war jüdischer Abstammung und wählte erst als professionelle Tänzerin den russisch klingenden Künstlernamen Tatjana Barbakoff.

Mit zehn Jahren erhielt sie Ballettunterricht und schon bald zeichnete sich ab, dass sie für den Tanz besonders begabt war. Mit neunzehn Jahren ging sie mit dem deutschen Offizier Georg Waldmann, den sie später heiratete, nach Deutschland, wo er unter dem Künstlernamen Marcel Boissier als Conferéncier und Sänger Geld verdiente. Zusammen traten sie im Kabarett »Schall und Rauch« in Berlin und in Düsseldorf im »Corso Cabaret« auf.

Mit ihrem ersten eigenen Programm war Tatjana Barbakoff 1921 im Düsseldorfer Schauspielhaus; die Anregung kam von der Theaterdirektorin und Schauspielerin Louise Dumont (1862-1932), die zur Künstler-Avantgarde im Rheinland gehörte. Barbakoffs Darbietungen überzeugten weniger durch innovative  Körperbewegungen, als durch ihre Einfälle im Umgang mit Dekor, Kostüm und Farbigkeit.

Ihre ästhetisch faszinierenden Kostüme entfalteten ihre volle Wirkung beim Tanz und haben offenbar Publikum, Kritiker und Künstler gleichermaßen fasziniert: Die einen schwärmten von einem »beglückenden Kontrast zu den landesüblichen Tanzpyjamas« (Joseph Lewitan, Der Tanz, H.5, 1932), die anderen sahen in ihr das inspirierende Modell, neben den Männern auch Künstlerinnen wie die am Bodensee ansäßige Malerin Kasia von Szadurska (1886-1942) und die Schweizer Expressionistin Helen Dahm (1878-1968).

Der Kontakt zur Düsseldorfer Kunstszene wurde immer enger.
Das Zusammentreffen mit Johanna Ey, die als »Mutter Ey« seit 1918 in Düsseldorf einen Kunsthandel und eine Galerie betrieb, verschaffte der Barbakoff einen Platz im Zentrum der Künstleravantgarde: Die Künstlergruppe »Das junge Rheinland« (1919-1929) eröffnete ihr eine Welt, in der sie die Rolle der Muse annahm, andererseits auch selbst Inspiration für ihre Tanzkunst gewann.

Die Bildhauer Arnold Hensler und Benno Elkan modellieren sie, Tanzimpressionen und Portraits finden sich im Werk von
Otto Pankok, Arthur Kaufmann, Jupp Rübsam und J. B. H. Hundt. Hier war sie unter Gleichgesinnten und künstlerisch Kreativen, die nach dem Zusammenbruch durch den Ersten Weltkrieg einen gesellschaftlich demokratischen Aufbruch mit Hilfe künstlerischer Aktivitäten versuchten und sich gegen den etablierten Kunstbetrieb durchsetzten.

Im Dezember 1924 trafen bei »Mutter Ey« Tatjana Barbakoff und Gert H. Wollheim zusammen, woraus sich ein verwickeltes Liebesverhältnis, schließlich eine anhaltende Verbindung entwickelte. Wollheim war als Kunstrebell und führendes Mitglied des »Jungen Rheinland« bekannt; er übersiedelte 1925 nach Berlin, malte, zeichnete und aquarellierte die Tänzerin in zahlreichen Bildern, viele waren 1928 in seiner Ausstellung bei Johanna Ey zu sehen.

In Berlin erlebte Tatjana Barbakoff 1925 ihren Durchbruch mit einem abendfüllenden eigenen Programm:
»Man sollte diese Kunst nicht Tanz nennen, sie nähert sich der Pantomime, sie ist auf schauspielerischen Grundlagen gebaut, überdies ganz bildhaft eingestellt, und greift, von dekorativen Momenten ausgehend, in das Gebiet der Malerei hinüberDie kurzen Skizzen der Tatjana Barbakoff sind nicht nachzuahmen.
Ihr eigenartiges Gesicht, mit den asiatisch geschnittenen Zügen zeigt jene Wandlungsfähigkeit, wie man sie bei den japanischen Schauspielern antrifft … Auch liebt
sie Parodien, die sie satyrisch pointiert: Dadaismus, Wege zu Kraft und Schönheit«. (Börsen-Courier 24.10.1925).

Auch die Berliner Künstler waren von ihr angetan wie z.B. Willy Jaeckel und Karl Bennevitz von Loefen;
ihre Auftritte riefen große Publikumsbegeisterung und ein enormes Presseecho hervor. Sie zog jetzt besonders die fotografierende Zunft in Bann. Auftritte in Wien, in der Schweiz, in Konstanz und Hagen folgten und Besuche bei
Margot und Christian Rohlfs in Ascona, für die sie private Vorführungen gab. Rohlfs widmete ihr seinen »Tatjana-Zyklus« aus 29 Arbeiten.

Im Frühjahr 1932 startete die Barbakoff mit einer Premiere im Berliner Bachsaal eine große Tournee: Hannover, Hagen, Dortmund, Hamburg, Budapest, Locarno, Ascona, Köln. Schon wegen der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse erhielt sie Absagen ihres Engagements und Einreiseverweigerungen und erfuhr zunehmend Isolation.

Tatjana Barbakoff und Gert Wollheim verließen im Frühjahr 1933 auf unterschiedlichen Wegen Berlin in Richtung Paris. Dort verdiente sie Geld mit Gymnastik-Tanzstunden, aber sie fand auch Gelegenheiten aufzutreten und sogar Beachtung in der Presse. Aus der Pariser Zeit stammen über 60 Aufnahmen, darunter auch mehrere Tanz-Serien, aus der Hand des deutschen Fotografen Willy Maywald, dessen Atelier ein Treffpunkt für Emigranten war, sowie von der in Montparnasse ansässigen Fotografin Alice Thalheimer.

Die Lebenslage der Barbakoff verschlechterte sich mit Kriegsbeginn 1939 zunehmend, nach der Internierung 1940 in Gurs folgten Jahre der Flucht und des Versteckens, bis sie im Januar 1944 in Nizza der Gestapo in die Hände fiel.
Tatjana Barbakoff wurde noch im selben Monat nach Auschwitz transportiert und dort vergast.
Wollheim überlebte im Versteck und wanderte 1947 in die Vereinigten Staaten aus.

In der Ausstellung werden Portrait- und Tanzbilder aus Museums- und Privatsammlungen zu sehen sein: die Barbakoff war häufig Gast in den großen Portraitateliers bei Nini und Carry Hess in Frankfurt und bei Alex Binder, Steffi Brandl, Dührkoop, bei Sasha Stone und bei der Illustrierten- und Modefotografin Yva in Berlin, wo 1929 ein en-face-Portrait entstanden ist, das ihre so oft bewunderte Attraktivität und Ebenmäßigkeit besonders eindrucksvoll zeigt.
Auch von ihren Tanzauftritten haben sich Zeugnisse erhalten wie u.a. die Fotoserien von Hans Robertson, dem bekanntesten Tanzfotografen der Zeit.

Die Ausstellung zu Leben und Werk Tatjana Barbakoffs basiert auf Recherchen von Günter Goebbels.


Biografie

Künstlerinnen A - E
Publikationen A - E

Eröffnung

Mittwoch | 17. März 2010 | 19 h

Es sprechen

Günter Goebbels, Kurator der Ausstellung
Einführung

Laufzeit

18. März 2010 - 27. Juni 2010

Öffnungszeiten
Do - Fr 15 - 19 h | Sbd - So 12 - 16 h

STANDORT | Adresse

DAS VERBORGENE MUSEUM
Schlüterstrasse 70
10625 Berlin-Charlottenburg

 

Flyer zur Ausstellung

 

Publikation:  Katalogbuch zur Ausstellung:

Günter Goebbels, TATJANA BARBAKOFF
Eine vergessene Tänzerin in Bildern und Dokumenten,
98 S., zahlreiche farb- und s/w Abb., Düsseldorf 2009

 

Wir danken Günter Goebbels, der die Ausstellung 2009 für den Kulturbahnhof Eller, Düsseldorf, erstmals zusammengestellt hat, für die Möglichkeit der Übernahme nach Berlin. 

Gefördert von der Senatskanzlei Kulturelle Angelegenheiten, Berlin 
Künstlerinnenprogramm 

 

STANDORT > ADRESSE

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AUDIO
TATJANA BARBAKOFF
Feature NPR | National-Public-Radio, 22.03.2010

  

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