10. April 1987 - 22. May 1987

LOUISE RÖSLER 1907 - 1993

Stadtlandschaften 1935 - 1984

"Atmosphärische Dichte und Farbenwirbel" |  Louise Rösler zum 80. Geburtstag
von Gisela Breitling 

Louise Rösler gehört einer Generation an, deren Kunst bisher im Höchstfall als Beitrag zum jeweils gegenwärtigen Kunstgeschehen, nicht aber als Beitrag zu seiner Geschichte bewertet wird: der Generation der Frauen, einer noch immer und seit jeher verschollenen Generation.

Das Klima der Nachkriegszeit, d.h. der Versuch einer Re-Vision der Kunstentwicklung ist Louise Rösler zunächst förderlich. Mehrere Einzelausstellungen und die Beteiligung an vielen wichtigen Gruppenausstellungen, ein Stipendium der Deutschen Studienstiftung und zwei Kunstpreise signalisieren Erfolg.

Trotzdem ergeht es Louise Rösler nicht anders als den wenigen weiteren Frauen, deren Bilder …   zwar zu sehen sind, deren Namen und Werk gleichwohl im Rückblick nicht plastisch, nicht Begriff werden für ein bestimmtes künstlerisches Wollen – verschollene Kunst, Kunst im Abseits.

Louise Rösler entstammt einer Künstlerfamilie. Schon die Großeltern hatten künstlerische Neigungen. Die Eltern lernten sich während ihrer Studienzeit an der Kunstakademie in Königsberg kennen, wo die Mutter, Oda Hardt, an der Damenklasse – so nannte sich der Studiengang für Frauen – immatrikuliert war, damals noch die Ausnahme und nicht die Regel in staatlichen Ausbildungsstätten. Nach der Eheschließung mit ihrem Studienkollegen Waldemar Rösler hat sie ihre künstlerische Tätigkeit jedoch nicht weiter geführt, was sie später offenbar bereut hat. Der historische Zeitraum, in dem Louise Rösler ihre künstlerische Sprache entwickelt, ist nicht nach Jahreszahlen zu bemessen.

Parallel zur Physik, die die Kleinstpartikel der Materie untersucht, bis dorthin, wo es in jeder Hinsicht außersinnlich wird, begibt sich eine neue Wissenschaft auf die Suche nach dem Unsichtbaren, Unanschaulichen: nach der Struktur der Seele, dem Ursprung des Ich. Zwischen den beiden Grenzbereichen stehen die Künste, die den Versuch unternehmen, das Unanschauliche dem Auge dennoch zugänglich zu machen … 

Die erste große und überzeugende Formulierung solcher Bildgedanken in der deutschen Malerei leistete eine Frau, Paula Modersohn-Becker – auch sie lebenslang den Verschollenen zugehörig, dem ‚Lager der Stummen‘, wie es eine Feministin des 19. Jahrhunderts einmal formuliert hat. In ihren letzten Bildern nimmt sie vorweg, was in ‚Brücke‘ und ‚Blauem Reiter‘ später zum kunstgeschichtlichen Begriff werden sollte.

Paula Modersohn-Becker hat noch nicht an einer staatlichen Kunstakademie studieren dürfen und auch Käthe Kollwitz nicht, die 1928 mit der Leitung des ‚Meisterateliers für Graphik‘ an der Hochschule für Bildende Künste Berlin betraut wird, ein Jahr nachdem Louise Rösler dort ihr Studium bei Karl Hofer beendet, als eine der ersten, der dieses Recht nicht mehr vorenthalten wird. Trotz vieler weiterhin geltender Einschränkungen und Sondergesetze für Frauen garantiert die Weimarer Verfassung nunmehr endlich einige Grundrechte. Die wichtigsten Forderungen der Alten Frauenbewegung – Stimmrecht, Recht auf Ausbildung und Erwerbstätigkeit – waren erfüllt, und ein Kampf, dessen Beginn bis zu den Frauenvereinigungen und Protestbewegungen während der Französischen Revolution zurückreicht, schien erfolgreich beendet. Teils lösten ihre Organisationen sich in der Folge auf, teils ließen sie sich auf die alles andere als feministische Frauenpolitik der Nazis ein. Das trifft vor allem auf den gemäßigten oder bürgerlichen Flügel zu. Den Radikalen, weiterhin pazifistisch und internationalistisch, stand Verfolgung und Emigration bevor.

Louise Röslers Studienjahre fallen in eine Zeit der Neu- und Umorientierung, der Umbrüche und Verwirrung. Die Hektik des politischen und sozialen Lebens spiegelt sich in der raschen Folge künstlerischer Theorien, Revolutionen und Ismen. Das damalige Berlin ist internationaler Umschlagplatz der Ideen, Magnet der Avantgarde. Doch für Louise Rösler ist nicht Berlin, sondern Paris die inspirierende Umgebung. Sie immatrikuliert sich an der Académie Moderne bei Fernand Léger – unter denkbar schlechten materiellen Bedingungen übrigens. Studienreisen führen sie später auch nach Südfrankreich, Spanien und Italien. Von den Bildern aus dieser Zeit ist fast nichts erhalten. …

Die Künstlerin beteiligt sich nun an den Ausstellungen der Berliner Sezession und der Akademie der Künste am Pariser Platz. 1933 heiratet sie den Maler Walter Kröhnke. Beide arbeiten auch nach ihrer Eheschließung weiterhin in getrennten Ateliers, in denen sie nun Ausstellungen veranstalten, da sie ab 1933 im offiziellen Kunstbetrieb nicht mehr zugelassen sind. Das kontroverse, sprühende Berliner Kunstleben ist abgewürgt. Zu den Ausstellungen kommen Kollegen und Sammler: die Maler Kuhn, Nay, Jaenisch, Uhlmann, Schmidt-Rottluff, der Kunsthändler Feldhäuser sowie Richard Möhring, ein engagierter Sammler und Kunstkenner, der nach Kriegsende unter dem Pseudonym Peter Gan als Schriftsteller bekannt wird. Er vermittelt den Kontakt zu der angesehenen Galerie Buchholz, die 1938 eine erste Einzelausstellung vorbereitet.

Louise Röslers damalige Bilder, Stadtlandschaften, sind noch durchweg gegenständlich, jedoch nicht naturalistisch. Sie entstehen nicht vor der Natur, sondern im Atelier. Dieses Vorgehen, ein bis zum Beginn des Impressionismus übliches Verfahren der Landschaftsmalerei, war jedoch eine nicht nur aus künstlerischen Erwägungen getroffene Entscheidung. Es fiel der Malerin schwer, ja es war ihr unmöglich, sich so zu exponieren, wie sie es hätte tun müssen, wenn sie sich mit ihrer Staffelei auf die Straße begeben hätte. Das ist nur allzu verständlich. Beim Malen auf unerbetene Kritik oder gar auf Kommentare zur Person gefaßt sein zu müssen, stört die Konzentration. In den aus dem Gedächtnis gemalten Bildern verdichtet sich die typische Berliner Atmosphäre, schwermütige Sonntagsstille in den menschenleeren Straßen mit ornamentierten Gründerstilfassaden, trübe Novemberstimmung, schmutzig-grauer Schnee, das Rot der Backsteinkirchen, die Patina der kupfernen Kuppeln, dazwischen merkwürdige Konstruktionen, Reklame, Industriearchitektur – und irgendwo, verloren in den Fassadenblöcken, die kleinen Läden, ein Gemüsestand, Kneipen, Kinos und immer wieder Bäume, deren helles Laub die Hauswände betupft. Erinnerungen an Paris werden da und dort eingefügt, etwa ein barockes Gittertor, das einen in französischem Stil gehaltenen Berliner Garten abschließt

Doch diese Bilder sollen bis heute nicht gezeigt werden. Die Ausstellung ist noch nicht eröffnet, als eine Abordnung der Reichskulturkammer erscheint und die Bilder abhängt. Die Künstlerin wird aus der Reichskulturkammer ausgeschlossen: Ausstellungsverbot. Weiterhin bleibt das Atelier der einzige Ausstellungsort. Berlin als Motiv ist der Malerin nun verleidet. Die Phantasie emigriert zu anderen Städten und Orten,. Es entstehen Amerikabilder – Zeitschriftenfotos bilden oft den Ausgangspunkt für diese Kompositionen – und Reminiszenzen an Paris.

Ein Jahr später beginnt der Zweite Weltkrieg. Malverbot? Farbenverbot? Sorgen, Entbehrungen und psychische Belastungen erzwingen die Unterbrechungen der künstlerischen Produktivität für viele Jahre. Sie kommen der diktatorischen Bürokratie zuvor. Louise Röslers Mann wird eingezogen, ihr erstes Kind stirbt kurz nach der Geburt. 1943 wird ihr Atelier bei einem Bombenangriff zerstört und mit ihm fast alle Bilder, nur weniges konnte durch Auslagerung nach Bayern gerettet werden. Mit ihrer dreijährigen Tochter übersiedelt sie nach Königstein im Taunus – und doch malt sie auch in dieser Zeit: Reisephantasien, gemalte Briefe an ihren Mann, Aquarelle und Gouachen, Erinnerungen an nie gesehene Orte, z.B. a Marokko, Miniaturen von großer Dichte und Leuchtkraft. Irgendwann dann keine Nachricht mehr, Walter Kröhnke bleibt verschollen. Und noch ein Verlust muß sie hinnehmen, den Tod ihres dritten Kindes – Unterernährung, Kriegsfolgen …

Nach Kriegsende beginnt sie wieder mit der Malerei, ein schwerer Anfang nach so langer Unterbrechung unter so schweren Bedingungen, und ein Neubeginn: Gegenständlichkeit jetzt nur noch als Anklang, als ferne Assoziation. Die Studienzeit bei Léger kommt in der Folgezeit zum Tragen. Die konstruktive Festigkeit, die die strudelnden, auseinanderfliegenden Farbpartikel zusammenhält, läßt erkennen, daß sein Einfluß auf eine ganz eigene Weise verarbeitet worden ist.

Nach 1945 gehen die Sorgen ums unmittelbar Lebensnotwendige weiter. Es gibt kaum Malmaterial. Die Künstler helfen sich gegenseitig bei der Beschaffung von Farben, Papier, Leinwänden. Um den Kanonenofen im Büro von Ernst Holzinger, dem Leiter des Staedelschen Kunstinstituts in Frankfurt, versammeln sich die Künstler, die sich in den Kriegswirren aus den Augen verloren hatten. Die Freundschaft mit Nay wird neu geknüpft, der Bildhauer Hans Mettel kommt hinzu, es findet sich ein Mäzen, der über viele Jahre Röslers Bilder sammelt. Holzinger kauft fürs Staedel-Museum. Endlich kann die Malerin auch wieder ausstellen und ist in den folgenden Jahren in fast allen wichtigen Ausstellungen vertreten.

Ihre Bilder werden flächiger. Die Farbigkeit ist meist hell und kontrastreich in den Tönen. Stets wird das Weiß der Leinwand einbezogen, konturiert die Flächen oder schimmert zwischen ihnen durch, macht die gesamte Komposition licht. Der Farbauftrag ist dünn, oft lasierend. Es entstehen Collagen. Auf den ersten Blick abstrakt erscheinend, bleibt der Anklang an Stadtlandschaft und Architektur doch weiter gewahrt, ist der Malerei oder der Collage unterlegt, wie ein Grundton, der die Fläche bindet. Die Bilder werden ohne Vorstudie oder Skizzen meist spontan niedergeschrieben. Oft sind sie von einem Gitterwerk aus Linien durchzogen, Buchstaben stehen zuweilen als graphische Elemente dazwischen, wie ein leicht ironischer Kommentar.

Die Künstlerin entwickelt Dynamik und Lebendigkeit im Duktus, schwungvolle Lineatur, hintereinander und übereinander sich türmende Formen, die, zur Seite und zur Mitte drängend, sich gegenseitig halten. Die Stadt, zentrales Thema von Anfang an, ist bei Louise Rösler keine stampfende Maschinenwelt, kein Moloch, der Menschen verschlingt, kein bedrohliches Ungetüm, eher ein Tanz von gezackten Flächen, ein Strudel, ein Farbenwirbel, ein Rummelplatz mit flatternden Wimpeln. Ihre Farben sind – trotz extremer Gegensätze, etwa, wenn Zinnober, Neapelgelb, Cöelinblau und Zinkgrün nebeneinander gesetzt werden – niemals grell. Jedes Bild verbindet sie so, daß sie nicht miteinander konkurrieren, sondern ihre Wirkung gegenseitig steigern. Die Palette ist immer reich und vielfältig. Die raffinierte Verschränkung von Farbflächen läßt kein überwiegen eines bestimmten Tons erkennen und doch erzeugen sie in jedem Bild einen Gesamtklang, dessen Grundton nicht auszumachen ist, sondern der irisierend umschlägt, von Wärme zu Kühle und wieder zurück.

Ähnlich auch die Wirkung der Bogenschwünge, des Gitterwerks der Linien. Scheinen diese zunächst das Bild zu sprengen, in einer meist von links kommenden Dynamik aus dem Bildrand hinaus zu drängen, so entfaltet sich bei längerem Hinsehen eine genau entgegengesetzte Wirkung: Festigkeit und ordnende Struktur.

Farbigkeit, malerischer Duktus und Lineatur erzeugen im Zusammenspiel einen Ausdruck, der, obwohl aus ganz anderer künstlerischer Absicht entwickelt, in manchem an die Dynamisch-Abstrakten der New Yorker Malerei ab Mitte der 1940er Jahre denken läßt. Gewisse Entwicklungen der aktuellen Gegenwartskunst berufen sich wieder auf diese Epoche. Auch Louise Röslers Arbeiten aus den 1980er Jahren könnten – neu gesehen und beurteilt werden. Daß die Verbindung zum gegenwärtigen Neoexpressionismus bisher nicht vollzogen wurde, mag in jenem merkwürdigen Materialismus bei der Kunstbewertung seine Erklärung finden, wo sich offenbar Bedeutung und ‚Größe‘ von der mit dem Zollstock bemessenen Ausdehnung der Bildfläche und der nach Kubikzentimetern bemessenen Farbmengen herleiten. Dem kleinen Format und dem sparsamen Farbauftrag kommt da von vornherein geringeres Gewicht zu.

Der Gegensatz zu den Berlinbildern der 1930er Jahre ist groß. Die künstlerische Handschrift hat sich verändert und differenziert. Grundsätzliche Eigenheiten wurden dennoch beibehalten: der Farbauftrag, die Einbeziehung des Untergrunds. 

Die Ausstellung zeigt Werke aus einem Zeitraum, der mehr als ein halbes Jahrhundert umfaßt. Sie zeigt die frühen Bilder zum ersten Mal überhaupt. In diesen Beispielen aus einem Lebenswerk, das während einer dramatischen und tragischen Geschichtsepoche entstand, wird das künstlerische Woher und Wohin deutlich, der Ausgangspunkt der späten und die künstlerischen Konsequenzen der frühen Arbeiten. Solche Einblicke in ein Werk sind ebenso notwendig für die Einschätzung, wie die zusammengefaßte Ausstellung einzelner Epochen. Der Rückblick bietet auch den Ausblick für die kommende Generation.

 

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Biografie 




Eröffnungsveranstaltung
Freitag, 10. April 1987 | 19 Uhr
Die Künstlerin ist anwesend

Begrüssung
Alexander Goy
Das Verborgene Museum

Einführungsvortrag 
Atmoshpärische Dichte und Farbenwirbel
Gisela Breitling, Das Verborgene Museum 

Konzert 
Alice Samter
"Monolog für Violoncello solo" 1975 

Ilse Fromm-Michaels
"Suite in c-moll für Violoncello solo op. 15" 1931
Ausführende: Stefanie Schmöckel

Alice Samter
"Kaleidoskop für Flöte und Violine" 1973
Ausführende: Angela Winau und Kaja Kürer 

LAUFZEIT
10. April 1987 - 22. Mai 1987

ÖFFNUNGSZEITEN
Do - Fr 15 - 19 Uhr | Sa - So 12 - 16 Uhr

Vorträge
08. Mai 1987 | 19 Uhr
"Frauenbewegung im Nachkriegsberlin"
Ingrid Schmidt-Harzbach

15. Mai 1987 | 19 Uhr
"Pygmalions faschistische Geschöpfe - Bildnis des Weiblichen in der NS Skulptur"
Silke Wenk

22. Mai 1987 | 19 Uhr
" ... daß die Frauen sich befähigt halten, die größten Leistungen in der Kunst zu vollbringen (Käthe Kollwitz)"
Christine Fischer-Defoy

STANDORT > ADRESSE
Der Verein DAS VERBORGENE MUSEUM | Dokumentation der Kunst von Frauen eV
hat seine Tätigkeit seit dem 01. Januar 2022 eingestellt

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