16. August 2007 - 14. October 2007

HANNA NAGEL 1907-1975

FRÜHE ZEICHNUNGEN UND LITHOGRAPHIEN


Zum 100. Geburtstag der kritischen Realistin


Hanna Nagel (1907 - 1975) nimmt im Oktober 1925 an der Badischen Landeskunstschule in Karlsruhe ihr Kunststudium auf. Ihre Eltern, der Großkaufmann Johannes Nagel und seine Gattin, Bertha Nuß, die vor ihrer Ehe als Lehrerin tätig war, haben die Begabung der Tochter frühzeitig erkannt und unterstützen die Achtzehnjährige bei ihrem Wunsch Malerin zu werden.

Seit dem Wintersemester 1919 waren auch Frauen an der Karlsruher Akademie zugelassen - Ergebnis eines langen-dauernden Protestes von Seiten der Künstlerinnen. Mitte der 1920er Jahre erwarb sich die Badische Landeskunstschule überregional, vor allem mit Künstlern der jüngeren Generation, wie Karl Hubbuch, Wilhelm Schnarrenberger und Georg Scholz, die hier als Lehrer unterrichteten, den Ruf eines Zentrums der Malerei der Neuen Sachlichkeit und des Verismus. Im Sommer 1925 waren sie auf der legendären Ausstellung des Dr. Gustav Hartlaub in der Mannheimer Kunsthalle vertreten, die der ganzen Richtung den Namen gab: »Neue Sachlichkeit«. Die einen, wie George Grosz und Karl Hubbuch, propagierten die Politisierung der Kunst, die anderen, wie Anton Räderscheidt und Alexander Kanoldt, suchten eher nach »seelischen Ausdrucksmöglichkeiten« des Menschen, nach innerer Einkehr infolge von Krieg und Wirtschaftskrisen.

Nüchternheit und Abkehr von Sentimentalität jedenfalls kennzeichnet die Bildwelten dieser Generation und »nur in der Faszination durch den Rhythmus der modernen Metropolen, in der häufigen Fixierung an großstädtische Vorwürfe blieb man dem Expressionismus nahe.« (Wieland Schmied 1986)

In diesem Geist beginnt Hanna Nagel ihre künstlerische Ausbildung in den graphischen Klassen: Zeichnen bei Hubbuch, Aktzeichnen bei Gehri, Radieren bei Conz, Gebrauchsgraphik bei Schnarrenberger. Hubbuch, die weltläufigste Erscheinung an der Kunstschule, hatte seine Schulung in Berlin erfahren und sein politisches Engagement - in Auseinandersetzung mit George Grosz und Rudolf Schlichter gewachsen - fand in scharfzüngigen Zeichnungen und Lithographien Niederschlag. Diese Strichführung, mehr noch seine Anregungen müssen von nicht zu überschätzendem Einfluss auf die junge, talentierte Studentin gewesen sein.

Hubbuch verlangte von seinen Schülerinnen und Schülern präzise Beobachtung und genaueste zeichnerische Wiedergabe der Motive, um »mit wenig Linie ein Höchstmaß an Ausdruck und Charakterisierung zu erreichen« (Goettle, Hubbuch als Lehrer, 1981). »Bei Hubbuch wurde ich angehalten, das Einmalige, die ans Groteske grenzende Besonderheit einer Erscheinung in fast karikaturistischer Zuspitzung zu packen«, beschreibt Hanna Nagel in den 1960er Jahren ihrem Biographen Eberhard Rhumer gegenüber das Besondere im Unterricht bei Hubbuch. In der Übertreibung von Proportionen und Akzentuierungen markanter Details führt sie ihre Protagonisten in einer Hubbuchs Darstellungsweise ähnlichen Schonungslosigkeit vor. Die sich verändernde Stellung der Frau im öffentlichen Leben, die Rolle der berufstätigen Frau und Mutter, speziell der freischaffenden Künstlerin, zudem ihre eigene Situation wird für Hanna Nagel zum Impuls und zur ständigen
Auseinandersetzung in ihrer Arbeit.

Die Probleme der modernen Partnerschaft sowie das »neue« Verhältnis der Geschlechter zueinander greift sie in ihren Zeichnungen und Lithographien auf und benutzt dabei sich selbst und ihren Partner, den späteren Ehemann Hans Fischer, als Schlüsselfiguren ihrer künstlerischen Verarbeitungen. Sie nimmt die Doppelrolle der Frau sozialkritisch unter die Lupe, hält sich nicht zurück, ihre männliche Umgebung mit der Feder scharf zu attackieren und bringt gleichzeitig immer wieder ihre Desillusion über Partnerschaft und Ehe zum Ausdruck - Themen, die in den zwanziger Jahren viele ihrer Kolleginnen wie beispielsweise Hannah Höch und Marta Hegemann auch aufgegriffen haben.

Mitte 1929 kommt Hanna Nagel in Berlin an, gefolgt von ihrem Freund und Kommilitonen, Hans Fischer, mit dem sie sich im Dezember verlobt. Emil Orlik und Hans Meid waren ihre Lehrer an den Vereinigten Staatlichen Schulen für freie und angewandte Kunst, wo Nagel Meisterschülerin wird. Auch Orlik erkennt Hanna Nagels Begabung, spricht sogar von einer »zweiten Kollwitz«, spricht sich aber deutlich gegen eine Beziehung aus, weil seiner Ansicht nach, höchste Meisterschaft nur bei völliger Unabhängigkeit zu erlangen sei. Nur wenn sie ihr Leben ausschließlich der Kunst widme, könne sie ihre Kreativität ganz entfalten. Eine Ehe würde die Karriere mindestens bremsen, Kinder gar den künstlerischen Werdegang und den Erfolg zunichte machen. So gesehen wundert es nicht, dass sich Hannah Nagel ein Leben lang an eben diesen Problemen und Fragen zu Art und Weise der Lebensführung als Frau und Künstlerin zeichnerisch abgearbeitet hat.

Die dreißiger Jahre bringen für die Malerin persönliche Veränderungen: Nach der Heirat mit Hans Fischer im Dezember 1931 folgt Anfang 1932 der Studienabschluss und die mit dem Studentenleben einhergehenden Freiheiten haben ein Ende. Erste gesellschaftspolitische Veränderungen durch die Machtübergabe an die Nationalsozialisten beginnen sich abzuzeichnen. Noch kann Hanna Nagel ungestört arbeiten; sie erhält Ehrungen, u.a. 1933 den Rompreis verbunden mit dem Stipendium 1934 in der Villa Massimo in Rom, 1935 den Dürerpreis der Stadt Nürnberg; 1936 ist sie noch einmal in Rom mit Hans Fischer, der in diesem Jahr das Stipendium für die Villa Massimo bekommen hat. 1937 wird ebenfalls ein erfolgreiches Jahr mit dem Kassel-Preis und der Silbermedaille auf der Weltausstellung in Paris. Hanna Nagel hält sich mit politischen Äußerungen zurück und versteckt ihre bissigen Zeichnungen mit der Kritik am Geschlechterverhältnis. Erst nach ihrem Tod waren sie zum ersten Mal wieder zu sehen.

Hanna Nagel lehnt sich nicht mehr auf, fügt sich der Situation und geht in die sogenannte innere Emigration. Sie beginnt Bücher zu illustrieren - 110 Bücher bis zu ihrem Lebensende - und verdient fortan mit Buchillustrationen ihren
Lebensunterhalt. Die Figuren ihrer Illustrationen scheinen Traumwelten entsprungen, thematisch kreisen sie um Liebe und Tod, getragen von symbolischer Düsterheit und Verrätselungen. Der größere Teil des gesamten Frühwerkes in ihrem Atelier in Berlin und der Teil, den sie zu Alex Vömel in seine Galerie nach Düsseldorf gebracht hat, ist im Krieg verloren gegangen. 1938 wird die Tochter Irene geboren; die Ehe mit Hans Fischer, der 1946 aus englischer Kriegsgefangenschaft zurückkehrt aber scheitert. 1945 kehrt Hanna Nagel in ihre Geburtsstadt Heidelberg zurück, wo sie bis zum Tod 1975 lebt.

DAS VERBORGENE MUSEUM hat die Ausstellung zum Frühwerk der Malerin aus der Städtischen Galerie Karlsruhe
übernommen, die dort anlässlich des 100. Geburtstags von Hanna Nagel zusammen mit Werken der Preisträgerinnen des 1998 eingerichteten Hanna-Nagel-Preises zu sehen war.

Der Text ist eine leicht veränderte Version des Abdrucks im MuseumsJournal IV/200/

Biografie 
Künstlerinnen: Übersicht
K
ünstlerinnen: K-O

ERÖFFNUNG

Mittwoch, 15. August 2007 | 19 Uhr

Es sprechen 

Gisela Breitling
Das Verborgene Museum

Sylvia Bieber
Städtische Galerie Karlsruhe 

LAUFZEIT
16. August 2007 –  14. Oktober 2007

Gastveranstaltung
Mittwoch 19. September 2007 | 20.00 Uhr
Die Schauspielerin und Autorin Brigitte Röttgers (1943-2014) liest aus ihrer Gedichtsammlung "Drachentage" 

ÖFFNUNGSZEITEN
DO - FR 15 -19 h | SA - SO 12-16 h

STANDORT > ADRESSE 
Der Verein DAS VERBORGENE MUSEUM | Dokumentation der Kunst von Frauen eV

hat seine Tätigkeit seit dem 01. Januar 2022 eingestellt.

mehr erfahren Sie hier:

 

Einladungskarte zur Ausstellung

 

Zur Ausstellung liegt die Publikation vor:

Zur Ausstellung liegt der Katalog vor: Hanna Nagel – Frühe Werke 1926-1933, mit Texten von Sylvia Bieber, Brigitte Baumstark, Heinz Fenrich, Hg. Stadt Karlsruhe-Städtische Galerie 2007, 72 S., ca. 50 Abb. zum Preis von 9,- Euro.

 

 

AKTUELLE Rufnummer
+49 (0) 30 861 34 64

MAIL >  ADRESSE

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