01. September 2005 - 30. October 2005

GRETE POPPER 1897-1976

Photographien der 1930er Jahre aus der Tschechoslowakei

Reihe: Europäische Photographinnen

Grete Popper wächst um 1900 in Prag auf, in einer der Tradition verpflichteten, aber auch der Moderne aufgeschlossenen Atmosphäre. Es war die Zeit vor dem Untergang der Habsburger Monarchie nach dem ersten Weltkrieg und der Gründung der tschechischen Republik 1918, als das Leben von der K. und K. österreichischen Kultur geprägt war (repräsentiert durch zwei Theater, ein Konzerthaus, zwei Hochschulen, fünf Gymnasien, vier Oberrealschulen und die beiden Tageszeitungen Prager Tageblatt und Bohemia). Österreicher, Deutsche und Tschechen pflegten geschäftliche Beziehungen, doch in den Vereinen und Clubs, in Kaffeehäusern und Restaurants herrschte eine Trennung. „Sage mir, in welchem Café du verkehrst, und ich sage dir, wer du bist...“x heißt es bei dem tschechischen Literaten Ota Filip in seinem Artikel „Eine Heimat für Hochstapler.“ Im Café Arco trafen sich die deutschsprachigen Literaten, Künstler und Theaterleute; im “Deutschen Haus und im Café Casino“ saß die noble deutsch-nationale Gesellschaft mit dem Adel und den reichen Prager Juden zusammen, das „Café Gemeindehaus“ war der Treffpunkt für die betagten eleganten Prager Damen. Die tschechischen Anarchisten trafen sich im „Café Union“, die Intellektuellen diskutierten im „Café Slavia“, wo der Oberkellner Alois die Platzzuweisung streng nach Ansehen vornahm. Des „rasenden Reporters“ Egon Erwin Kischs zweites zu Hause war das „Café Montmartre“, wo die Prager Boheme verkehrte.

Welches Café Grete Popper wohl als belesene, mehrsprachige und weltoffene junge Frau besucht haben mag, ist aus den spärlichen Daten zu ihrem Leben nicht mehr zu rekonstruieren, auch nicht wo sich ihre Kollegen, die Photographen trafen, denen sie mit wachsender Begeisterung für das Photographieren immer mehr verbunden war. Sicher jedenfalls ist, daß sie sowohl mit den deutschen als auch mit den tschechischen Photo-Vereinen Kontakt pflegte. 

Grete Popper wurde 1897 in Prag geboren, im Jahr der sogenannten Dezember-Tumulte, die sich gegen die zurückgenommenen deutsch-tschechische Sprachreglungen richteten. Grete Poppers Familie gehörte zum österreichisch/deutschen Bürgertum, ähnlich wie Egon Erwin Kisch. Ihr Vater, jüdischer Abstammung und zum Katholizismus konvertiert, war leitender Angestellter in der Prager Zweigstelle der „Wiener Versicherungsgesellschaft“ und wie in diesen Kreisen üblich, erhielt Grete Popper eine Schulausbildung, die sie befähigte, um 1929 eine höhere Position als Angestellte in der Geschäftsdirektion der Poldi Eisenhütten Werke in Kladno bei Prag zu übernehmen.

Zu dieser Zeit begann sie auch zu photographieren. Die erste nachweisbare Veröffentlichung einer Aufnahme erschien 1931 in der Zeitschrift „Fotografický obzor“ (Photographischer Horizont), dem offiziellen Organ der tschechischen Amateurphotographen: eine Siamesische Katze, für die sie 1931 den 3. Platz, Kategorie „Tiere“ im Kodak-Wettbewerb erhielt; 1933 wurde das Katzenportrait im Prager Salon und 1934 im Salon im französischen Tours gezeigt.

Die Präsentation in den Salons, die Vorträge, Photo- und Labor-Kurse, die Vorführungen neuer Photo-Materialien, sowie der Austausch mit anderen internationalen Vereinen bestimmten auch die Aktivitäten des 1896 in Prag gegründeten „Klub Deutscher Amateurphotographen“, der zu den frühesten Vereinigungen dieser Art in Böhmen und Mähren gehörte. Unter den Amateuren und nicht in den photographischen Ateliers wurde die sogenannte künstlerische Photographie gepflegt und gefördert. Überwiegend Herren aus dem gehobenen Bürgertum waren Mitglieder im Verein. (der sich bis 1914 zum führenden Verein in tschechischen Landen entwickelte) Nach dem Ersten Weltkrieg kam das Vereinsleben erst wieder Mitte der 1920er Jahre in Gang, und die Photographie sollte nicht mehr von der streng nationalistisch geprägten Vorkriegshaltung geprägt sein.

Grete Popper wurde, als eine von ganz wenigen Frauen, Anfang der 1930er Jahre Mitglied im Klub (KDA) und zur gleichen Zeit trat sie auch der British Royal Photographic Society, London bei. Mit ihren, von einer modernen Bildsprache geprägten Photographien trug sie schon bald zum Erfolg des Klubs bei. Zwischen 1932 und 1938 beschickte sie über 80 Ausstellungen in Europa, Amerika und Australien und erhielt Medaillen und zahlreiche Auszeichnungen. Ihr Themenspektrum war weit gefächert: Sie photographierte ihre unmittelbare Umgebung, die Prager Straßen im Stil des „Neuen Sehens“, zum Teil noch der kunstphotographischen Auffassung des frühen 20. Jahrhunderts verpflichtet, zum Teil stimmungsvoll romantisierend im Regen, in der Morgensonne oder im ersten Schnee erscheint der Wenzelsplatz, den sie immer wieder aus dem ersten Stock des Verbindungsgebäudes der Triester Assicuratzione generali mit Moldavia Versicherungsgesellschaft festhält – von dort, wo sie in den 1930er Jahren als Sekretärin tätig war. Es sind Momentphotographien, bei denen Popper auch schon mal die Leica eingesetzt hat.

Licht und Schatten, Wasser-Spiegelungen und Lichtreflexe bevorzugt aus der Vogelperspektive aufgenommen, lassen diese poetischen Sujets zu Zitaten ihrer Heimat werden. Auf eine serielle Konzeption beim Photographieren ein und desselben Motivs deuten die Aufnahmen zu den unterschiedlichen Tages- und Jahreszeiten. Durch den zugespitzten Ausschnitt entsteht auch manches Mal ein abstraktes Bild.

Während Grete Poppers Bildnisse durch die Wahl der Perspektive und den nahen Standpunkt der Photographin den Portraitierten Dynamik und Lebendigkeit zu geben suchen, -  die strengen Anschnitte belegen den Umgang und die Kenntnis vom Neuen Sehen - , sind ihre Aufnahmen von Volksfesten beispielsweise eher einer traditionellen Heimatphotographie zuzurechnen. Gerade am Beispiel dieses volksnahen Genre wollen die Amateurphotographen den erzieherischen Wert der Lichtbildnerei demonstrieren: Sehen zu lehren, sowie an Motivbeispielen der unmittelbaren Umgebung Mensch, Stadt und Land zu dokumentieren. In den Bildnissen fällt auf, daß sie die Portraitierten nicht anonymisiert, nicht typisiert, den Menschen nicht vereinnahmt. Sie betont immer die individuellen menschlichen Züge, mit einem Lächeln, in Festlichkeit oder Fröhlichkeit; das bürgerlich-humanistische Menschenbild bestimmt Grete Poppers Auffassung und nicht die pathetische Überhöhung eines rassistischen Leitbildes, wie es ein paar Jahre später 1939 dann auch im Protektorat gefordert war.

Ab 1933 wurde Prag zum Zentrum der deutschen Emigrantinnen und Emigranten und des Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Illustrierte Zeitschriften wie die AIZ, Der Simpl, Die Weltbühne, auch der links orientierte Malik-Verlag konnten hier einige Jahre arbeiten. Der bekannte Berliner Photograph und Werbegraphiker Errell (Richard Levy, 1899-1992) kam im Mai 1933 nach Prag und arbeitete hier noch bis 1937. Er war mit Grete Popper bekannt und benutzte ihre Dunkelkammer. Es ist anzunehmen, daß Grete Popper durch ihn Anregungen bezüglich ihrer Gestaltung von Objektaufnahmen erhält. Eine Entscheidung die Photographie professionell zu betreiben, war für Grete Popper nicht möglich, seit 1926 existierte das Gesetz, daß nur ausgebildete Photographinnen und Photographen, mit Meisterprüfung nach angemessener Zeit, das Gewerbe ausüben und bezahlte Auftragsphotographie annehmen durften.

In der Tschechischen Republik gibt es noch keine bekannten Photographinnen. Die in Prag geborene Lucia Moholy (geb. Schulz, 1894-1989) war 1915 nach Wiesbaden, später Leipzig gegangen und ihre Entwicklung zur Photographin und Photo-Theoretikerin hatte sie in Deutschland vollzogen. Die Slovakin Irena Blühová (1904-1991) hat am Bauhaus 1931-33 bei Peterhans Photographie studiert. Nach ihrer Rückkehr in die Slowakei hat sie sich ganz der sozialen Photographie gewidmet. Auch sie wurde erst kürzlich wieder entdeckt. Eine kompetente Vertreterin der wichtigen tschechischen Avantgarde-Photographie der ersten Generation 1918-1938, z.B. neben einem Jaroslav Rössler oder Jaromir Funke, neben dem Popper in Ausstellungen wohl vertreten war, ist bis heute nicht bekannt. So gesehen stellt Grete Popper mit ihrem nun bearbeiteten Werk eine erste Entdeckung dar. Die Moravská Galerie in Brno, die den photographischen Nachlaß Grete Poppers 1984/85 von den Erben erwerben konnte, hat nach Bearbeitung und Recherchen in einer umfangreichen Ausstellung ihr Lebenswerk vorgestellt und dies ist nun auch in Berlin zu sehen. 

Anm.x: Ota Filip, Eine Heimat für Hochstapler, in: Der Tagesspiegel, 5.12.1993, S. III  
| Marion Beckers


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Eröffnung

Mittwoch, 31. August 2005 | 19.00 Uhr  

Es sprechen

Elisabeth Moortgat
DAS VERBORGENE MUSEUM

Veronika Zertova
Kulturattachè, Botschaft der Tschechischen Republik

Antonin Dufek
Kurator, Maravskà Galerie, Brno

Laufzeit

01. September bis 30. Oktober 2005

Öffnungszeiten

Donnerstag | Freitag 15 - 19 h
SBD 12 - 16 h

STANDORT | Adresse

DAS VERBORGENE MUSEUM
Schlüterstrasse 70
10625 Berlin-Charlottenburg

 

Einladungskarte: zur Ausstellung

 

Publikation

Grete Popper – Fotografie mezi dvěma světovými válkami / Photographs from the inter-war period
tschechisch/englisch (deutscher Text eingelegt)
Texte: Antonin Dufek, Petra Trnková,
Zuzana Kopecká
116 S., 66 s/w Tafeln, 
Hrsg. Moravská Galerie, Brno,
ISBN 80-86217-85-X, Kant Verlag, 2005 

 

Die Ausstellung ist eine Übernahme von der Moravska Galerie in Brno,
die auch die Fotografien von GRETE POPPER in ihrer Sammlung bewahrt.

Unterstützt von der Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und
Kultur - Künstlerinnenprogramm

 

STANDORT > ADRESSE

Der Verein DAS VERBORGENE MUSEUM | Dokumentation der Kunst von Frauen eV
hat seine Tätigkeit seit dem 1. Januar 2022 eingestellt.

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