ELSE LOHMANN
Von: Gisela Breitling
Erstmals in Berlin sind im Verborgenen Museum Gemälde und Zeichnungen von Else Lohmann
(1897-1984) zu sehen. Und zum ersten Mal sind – vor allem aus Privatbesitz – so umfassend ausschließlich Arbeiten aus den Jahren zwischen 1917 und 1921 ausgestellt, der Zeit also, die die Künstlerin in Berlin verbracht hat und die ohne Frage ihre bedeutendste Schaffensperiode ausmacht.
In Bielefeld geboren, besuchte Else Lohmann die dortige Kunstgewerbeschule am Sparrenberg.
1916 begann sie ihre Ausbildung in Dresden an der Malschule von Johann Walter-Kurau, dem sie Ende des Jahres nach Berlin folgte. 1922 heiratete sie den Kunsthändler und Sammler Cees van der Feer Ladèr, mit dem sie in die Niederlande übersiedelte. Seit dieser Zeit signierte sie ihre Arbeiten mit ihrem Ehenamen, wodurch sie – von einigen nachsignierten Frühwerken abgesehen – die Bilder der Berliner Jahre von den späteren deutlich absetzte. In ihrem Fall bedeutete die neue Signatur mehr als eine Konzession an das patriarchalische Namensrecht: Die Künstlerin Else Lohmann war eine andere geworden, eine andere Künstlerin. Zwar sind ihre Handschrift und die typische Farbgebung auf ihren Gemälden nach 1922 noch zu erkennen, doch fehlt ihnen, was die in Berlin entstandenen Werke auszeichnet: eine spezifische Kraft, die Kühnheit der Form und die Freiheit der Farbe, eben das, was Else Lohmann zu einer bedeutenden Malerin macht.
Als Else Lohmann ihre Ausbildung begann, waren Frauen zum Kunststudium an der Akademie noch nicht zugelassen. Das änderte sich erst während ihrer Berliner Jahre. Mit Beginn der Weimarer Republik öffneten sich die Tore der Kunsthochschulen, was den Status der Künstlerinnen jedoch nicht nachhaltig verbessern konnte. Aus der Distanz von 70 Jahren wird erkennbar, daß sich die Hoffnungen nicht erfüllt haben, die die Frauen mit der Zulassung zum Studium an den Staatlichen Ausbildungsstätten verbunden hatten. Nach endlosen Kämpfen – ein Pyrrhussieg?
Um die Jahrhundertwende war eine neue Generation von Künstlern angetreten, die mit dezidierten Verstößen gegen die akademischen Regeln der Kunst eine Umwertung aller Werte vollzog. Neue Behauptungen wurden aufgestellt und in der Tat: Ohne Behauptungen gibt es keine Erkenntnis (siehe z.B. Konrad Lorenz in seiner Veröffentlichung „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit“) – ein Gedanke, der die vermeintliche Geschichtslosigkeit der Frauen in neuem Lichte erscheinen läßt. Denn es handelt sich nicht um Naturereignisse, wenn etablierte Ordnungen umgestoßen werden und neue Ideen Einfluß gewinnen. Kunst-Geschichte ist nichts Absolutes, nichts Objektives, sondern zu allererst Behauptung, Hypothese, gesetzt mit derselben Kühnheit, mit der auch jede wissenschaftliche Erkenntnis als noch zu beweisende Annahme beginnt. Und Annahmen können sich zunächst auf nichts anderes als auf die individuelle Überzeugung von ihrer Richtigkeit stützen. Solange aber Frauen die Kunstgeschichte als etwas Gegebenes hinnehmen und nicht als etwas Gemachtes erkennen, werden sie schwerlich den Mut zu ungeschützten und ungesicherten Hypothesen finden.
Meine Behauptungen betreffen die Malerin Else Lohmann: Ihre in den Jahren 1917-1921 entstandenen Bilder brauchen den Vergleich mit denen ihrer expressionistischen Zeitgenossen nicht zu scheuen, brauchen vielmehr gerade diesen Vergleich. Der Landschaft kommt in ihrem Œuvre eine besondere Bedeutung zu. Es ist jedoch nicht die Stadtlandschaft, sondern die freie Natur, der ihr Augenmerk gilt. Bäume werden zu flächigen Massen zusammengefaßt oder gliedern den Raum als zerrissene, fleckenhafte Schrunden. Der Farbauftrag ist kompakt und vollzieht sich – bei aller Dynamik – in ruhigen Bewegungen. Die Tonigkeit baut häufig auf einer spezifischen Skala auf: Grüntöne von Kadmium, Grünerden, Chromoyid bis zu schwärzlichen Mischungen – eine Kühle, die durch sparsame, kontrapunktisch eingesetzte Akzente von gedämpftem Magenta, stumpfen Violett-Tönen, auch Neapelgelb aufgehoben und gleichzeitig gesteigert wird. Wasserläufe oder Straßen öffnen die Landschaft, schaffen Raum, entfalten Licht und – betont durch senkrecht gesetzten flächigen Farbauftrag – eine irritierend schimmernde Tiefe. Auf manchen Bildern löst sich die Gegenständlichkeit völlig auf in Glut oder Kühle. Hausdächer erscheinen als reine geometrische Formen, Pyramiden, Rhomben, Dreiecke, eingebunden in angedeutete Landschaftsformationen: Hügel, Wege, Wolken, umrissen von einer aufs äußerste verknappten Kontur. Diese vor der Natur gemalten Bilder haben zumeist das Format des hölzernen Malkastens der Künstlerin, auf dessen Deckel sie ihre Kartons mit Reißzwecken befestigte, sind also kaum größer als 21 x 26 cm.
Ihre Porträts, Akte und Stillleben entstehen im Atelier und haben, mit Ausnahme der skizzenhaften Aktstudien, größere Formate. Besonders bemerkenswerte Beispiele ihrer Porträtkunst sind „Frau mit Hut“ (1919), „Frau im Lehnstuhl“ und „Porträt Margarete Schall“, beide 1920. Kubistisch-geometrische Strukturierung der Schattenpartien wie bei der „Frau mit Hut“ finden sich auch auf den großformatigen Kohlezeichnungen einer Serie von Porträtköpfen, bei den beiden ein Jahr später entstandenen Porträts jedoch nicht mehr. Hier deutet sich an, daß die Malerin auf dem Weg war, die
kubistisch-expressionistische Malweise zugunsten einer Annäherung an die Neue Sachlichkeit aufzugeben. „Frau mit Hut“ ist in einer steilen, von links unten nach rechts oben führenden Diagonalen angelegt, Gewandzeichnung, Arm und Hand folgen der gegenläufigen Linie, die Bewegung des Kopfs zum rechten oberen Bildrand wieder der anderen Linie. Kühle Tonigkeit, grünliche Schatten im Inkarnat, roséfarbene Höhungen auf Wange und Mund, das vom Hauch eines durchsichtigen Schleiers verschattete Gesicht, dazu das irisierende Weiß der Bluse, die unter dem geöffneten Mantelkragen als verschobener dreieckiger Fleck hervorleuchtet, vermittelt Zartheit und Frische – gehalten und betont durch die offensichtliche Schwere des dunklen, massigen Pelerinen-Mantels.
Der Expressionismus stellt sich heute als überschaubare, abgeschlossene Epoche dar, die sich in den Köpfen abbildet – als Abbildung von Abbildungen. Was sich außerhalb dieser Ordnung der (Kunst)Dinge befindet, außerhalb der Idealität des Reproduzierten, kommt wortwörtlich nicht in Betracht. Der Einfluß geht kaum mehr vom Original aus, wodurch das Nicht-Reproduzierte von jeder Wirkungsgeschichte ausgeschlossen bleibt. Das trifft natürlich diejenigen besonders, die in der Kunstliteratur, in den reproduzierenden Medien gar nicht auftauchen – was bei Else Lohmann bis jetzt noch der Fall ist. Salopp formuliert: Bei der Frage um Sein oder Nichtsein in der Kunstszene geht es heute nicht mehr um Ausbildung, sondern um Abbildung.
Biografie
Künstlerinnen: K - O
Künstlerinnen: Übersicht
ERÖFFNUNG
Mittwoch, 11. September 1991 | 19 h
Es sprechen
Gisela Breitling, Das Verborgene Museum
»Glut und Kühle der Landschaft
Die Berliner Jahre der expressionistischen
Malerin Else Lohmann«
LAUFZEIT
12. September - 27. Oktober 1991
ÖFFNUNGSZEITEN
Do - Fr 15 - 19 Uhr | Sa - So 12 - 16 Uhr
VERANSTALTUNGEN
Mittwoch, 18. September 1991 | 19 Uhr
FÜNF JAHRE
»DAS VERBORGENE MUSEUM«
feiern wir mit
Ulrich Roloff-Momin
Senator für Kulturelle Angelegenheiten
Carola von Braun
Fraktions- und Landesvorsitzende der FDP Berlin
Barbara Heller
Komponistin und Pianistin
Vera Schrankl
Gesang
Elisabeth Merx
Klavier
Mittwoch, 2. Oktober 1991 | 19 Uhr
BUCHVORSTELLUNG
»Farbbekenntnisse. Das malerische Werk
der Bielefelder Künstlerin Else Lohmann«
(Westfalen Verlag) durch die Autorin
Nicole Seidensticker - Delius, Bielefeld
Mittwoch, 9. Oktober 1991 | 19 Uhr
VORTRAG
»Erinnerung, Verarbeitung, Verdrängung.
Verfolgte Künstlerinnen in der NS-Zeit in in Hamburg«
Dr. Maike Bruhns, Hamburg
Mittwoch, 16. Oktober 1991 | 19 Uhr
VORTRAG
»Eine Künstlerin des Expressionismus -
Marianne Werefkin (1860-1938)«
Nicole Broekmann
Bildzitate | Ausstellung Else Lohmann | 12. September 1991 - 27. Oktober 1991
Einladungskarte | zur Ausstellung
AKTUELLE Rufnummer
+49 (0) 30 861 34 64
MAIL>ADRESSE | weiterhin aktuell
berlin@dasverborgenemuseum.de
STANDORT > ADRESSE
Der Verein DAS VERBORGENE MUSEUM | Dokumentation der Kunst von Frauen eV
hat seine Tätigkeit seit dem 1. Januar 2022 eingestellt.
Frau und Herrn Heise. dem Galeristen
Dr. Jürgen Jesse ]und Leihgeberinnen
und Leihgebern.
Für die finanzielle Unterstützung
des Festabends danken wir der AG Frauen.
Senatsverwaltung für Kulturelle
Angelegenheiten